Rote Flüh Normalweg im Winter – geht das?
Ratsch! Mein linker Fuß bricht bis zur Hüfte ein. Ich kippe nach hinten weg. Fluchend rappele ich mich entgegen dem Gewicht des Rucksacks wieder in die Vertikale. Kurz vor einem aus dem Schnee ragenden Grasbüschel bin ich am Rand eines Felsens davor eingebrochen. Der Weg vom Gimpelhaus bis zum Sattel zwischen Rote Flüh und Gimpel ist mühsam. Vielleicht hätte ich doch die andere Aufstiegsspur wählen sollen.
Wie im gestrigen Kurzbericht zum Morgenrot am Gimpelhaus beschrieben, bin ich auf dem Weg zum Gipfel der Roten Flüh. Es ist für mich schon zu einer guten Tradition geworden. Jedes Jahr im Januar besteige ich mindestens einen der Berge des Tannheimer Tals mit Wanderschuhen. Je nachdem wie die Schneelage ist, entscheidet sich welcher Berg es wird. Durch die lange schneearme Periode seit Anfang Dezember wusste
ich: die Flüh sollte gut gehen.
Der Aufstieg vom Parkplatz in Nesselwängle bis zum Gimpelhaus war nur an wenigen Stellen schneebedeckt. Meist war es ein Wandern wie im Sommer. Nur wenige vereiste Stellen bremsten den Auftrieb. Nach der Morgenrast mit Morgenrot stapfe ich weiter in Richtung Tannheimer Hütte. Jetzt liegt durchgängig Schnee. Die Spur ist gut getreten. Ein paar Flocken Neuschnee liegen kaum sichtbar darauf.
Am Bergwacht-Kreuz angekommen sehe ich zwei Spuren hoch zur Roten Flüh. Eine zieht sich am rechten Rand entlang des offiziellen Wanderwegs im Sommer bis zur Einstiegsstelle zum Gimpel hoch. Von dort weiter zum Sattel zwischen Roter Flüh und Gimpel. Eine einzelne schon zugewehte Spur folgt etwa der Mitte des Talkessels entlang. Für diese Spur entscheide ich mich.
Schritt für Schritt versuche ich den alten zugewehten Tritten zu folgen. Ein paar Meter lang trägt die teils gefrorene harschige Schneedecke, doch dann breche ich teilweise wieder ein. Irgendwann wähle ich eine eigene Route, da die alte Spur nicht viel Vorteile bringt.
Umso steiler es wird, umso öfter breche ich bis zum Knie oder mehr ein. Der Wind hat alle Unebenheiten des Sommers versteckt. Dadurch ist manch ein Schritt völlig fest und sicher, doch beim nächsten sacke ich tief ein. So ist das ein Aufsteigen immer in Etappen von maximal 5-10 Schritten. Dann Atem schöpfen und weiter.
Eine Gämse grast ruhig oberhalb des Schnees an den wenigen herausragenden Grasbüscheln. Sie beobachtet mich ab und zu. Was sie sich wohl denkt? Erst als ich wenige Meter von ihr entfernt den Sattel erreiche ertönt ein kurzer Pfiff und sie trottet davon.
Mittlerweile ist es sonniger Vormittag geworden. Ich bin für einen 03. Januar mit relativ angenehmen Temperaturen gesegnet – etwas unter 0°C in fast 2.000m Höhe.
Hier auf dem sogenannten Sattele gönne ich mir einen mitgebrachten Riegel. Nun beginnt der eher alpine Teil des Aufstiegs. Ich schnalle mir die Steigeisen unter die Füße und platziere die Wanderstöcke. Den Eispickel in der Hand mache ich mich an das letzte Stück hinauf zur Roten Flüh.
Der kurze mit Eisenstangen und Drahtseilen versicherte Teil ist völlig vereist. Die Steigeisen helfen mir gut darüber hinweg. Ohne Steigeisen halte ich dieses kurze Stück für sehr riskant.
Die Schneehöhe liegt im Moment zwischen 5 cm und 80 cm – je nachdem wo man hintritt. Der Altschnee aus dem Dezember ist recht gut gesetzt. Dadurch ist die letzte Rinne hoch zur Roten Flüh zwar steil, aber mit Steigeisen gut machbar. Die letzten Aufsteiger vor mir waren wohl noch im alten Jahr unterwegs – ich muss mir die Tritte selber schlagen.
Insider wissen, ich bin was Schneefelder angeht ein gebranntes Kind. Darum bin ich in steilem Gelände immer sehr vorsichtig unterwegs. Doch die heutigen Verhältnisse machen mir den steilen Aufstieg in der Rinne eher leicht. Ich fühle nie Unsicherheit oder drohende Gefahr.
Jetzt nur noch wenige Meter und ich erreiche den Gipfel der Roten Flüh auf 2.108m Höhe. Laut Gipfelbuch bin ich der erste dieses Jahr hier oben. Der letzte Eintrag stammt vom 30.12.13.
Eine zweite Jacke tut trotz der milden Temperaturen gut um das Auskühlen zu verhindern. Hohe Schleierbewölkung trübt die Sicht auf das Blau ein klein wenig, doch die Rundumsicht ins Flachland, zur Zugspitze und bis hinüber zu den Lechtalern ist großartig.
Meine Pausen am Gipfel sind oft geprägt aus einer Mischung aus Essen, Trinken, Fotos schießen und vielleicht ein kleines Video drehen. Nach gut 20 min packe ich wieder zusammen. Die Steigeisen geben mir die Rinne hinunter den nötigen Halt und das Gefühl der Sicherheit. Das letzte Stück vor dem Sattele ist wieder die versicherte Passage auf Eis zu bewältigen.
Ich bewundere den Westgrat des Gimpels und gehe weiter mit Steigeisen bewaffnet links hinunter in Richtung Einstieg zum Normalweg auf den Gimpel. Auf diesem Teil sind die Trittspuren meiner Vorgänger besser erhalten und ich gelange ohne Einbrechen zum Abzweig auf den Gimpel.
Soll ich oder soll ich nicht? Mein Zeitbudget gibt den Gimpel nicht wirklich her. Der Fels ist zwar gut sichtbar, doch mit einer minimalen Schneeschicht bedeckt, also nicht trocken. Die ersten 100 m sind hier Kletterei im ersten bis zweiten Grad. Einige Spuren verraten: Da war die letzten Tage jemand oben. Ich teste ein paar Meter mit Eisen an den Füßen an. Doch dann siegt die Vernunft und ich lasse es sein. Er läuft ja nicht weg, der Gimpel und der Januar soll vorerst mild bleiben.
Der Abstieg zum Bergwacht-Kreuz ist schnell erledigt. Hier verzehre ich meinen Müslimix und genieße das wunderbare Gedicht von Rosamunde Bushart. Es ist als Inschrift auf der Metalltafel für die Bergtoten an Flüh und Gimpel. Davon berichte ich Euch in einem separaten Beitrag.
Während meiner Rast kommen vier weitere Wanderer von unten hoch. Zwei steigen weiter in Richtung Roter Flüh. Ok, das sieht nach Platz 2 und 3 für dieses Jahr aus ;-). Die anderen beiden, zwei junge Männer, steigen weiter nach rechts hoch. Es sieht aus, als wollten sie zum Sabajoch. Doch sie wählen statt dem Sommerweg eine andere Route. Ich beobachte sie noch lange und hoffe, dass sie in diesem Gelände ohne Abzurutschen zurechtkommen.
Die Gämse von heute Morgen lässt das Vorbeiziehen der Menschen völlig kalt. Sie würdigt uns kaum eines Blickes, während sie mit dem kargen Gras für sich sorgt.
Der weitere Abstieg zum Gimpelhaus ist schnell geschafft. Erst hier ziehe ich die Steigeisen aus. Sie haben auf dem harten, teils eisigen Untergrund gute Dienste geleistet.
Im Laufschritt lasse ich es in 40 min hinunter zum Parkplatz laufen. Nur in der letzten Kurve an einer Marienstatue rutsche ich aus und muss mich auf der Erde abstützen. Die Hose bekommt auch etwas ab – nun lohnt sich das Waschen wenigstens ;-).
Die eingangs gestellte Frage: „Rote Flüh im Winter – geht das?“ kann ich für mich mit einem klaren Ja beantworten. Von einer Besteigung im Winter ohne Steigeisen rate ich persönlich ab. Steigeisen gehören hier zur Minimalausrüstung. Ein Eispickel sorgt für noch besseren Halt. Eine geänderte Schnee- und Wetterlage kann eine Besteigung aber auch unmöglich machen. Dieser Bericht ist eine Momentaufnahme.
Mehr Informationen zum Normalweg auf die Rote Flüh
Hallo Herr Bühl,
Vielen Dank für diesen tollen Bericht. Ich habe ihn sehr gerne gelesen und konnte mich vollständig hinein versetzen. Unter nahezu den gleichen Bedingungen bin ich heute, am Weihnachtsmorgen, auch den Weg über Nesselwängle, Gimpelhaus zur Roten Flüh hinauf gestiegen. Leider fand ich kein Gipfelbuch vor, was aber weniger tragisch war. Die Aussicht war grandios.
Ein frohes Fest.
Daniel Schmidt
Danke Herr Schmidt .. schöne und besinnliche Tage für Sie.
Die Natur ist dabei der beste Wegbegleiter :-).