Burgenland Extremtour 2015 – Leben, Lieben, Bewegen
Epilog – Extremtour im Burgenland
Meine Thermoskanne fühle ich mit frischem Tee, stecke sie in den Rucksack. Mit dicker Mammut-Hochtourenjacke, Winterstiefeln und Gamaschen mache ich mich wieder auf. Dicke Flocken schlagen mir entgegen. Nur wenige sind vor mir von der Labestation Apetlon wieder aufgebrochen – ich sehe es an den Spuren im Matsch. Die Straße ist vom starken Regen und Schneeregen teilweise überschwemmt. Immer wieder muss ich großen Regen und Matschpfützen ausweichen.
Ein Läufer kommt mir wieder entgegen. „Komm, lass uns zusammen weiter machen!“ rufe ich. Er winkt ab: „Bei mir geht nix mehr!“. Ich kann ihm ansehen, wie kalt ihm sein muss. Extrem – sowas aus Ultraläufermund erlebt man nach nur 60 km nicht alle Tage.
Extremtour – Warum?
Warum bin ich hier? Um was geht es? Warum tue ich das? Angefangen hat alles vor etwa einem Jahr. Auf Facebook habe ich von der 24 Stunden Burgenland Extrem-Tour um den Neusiedler See gelesen. Leider war es damals schon zu spät um einen Startplatz zu ergattern.
Dieses Jahr hat es geklappt einen Startplatz zu bekommen. Die 1200 Startplätze waren in nur knapp 36 Stunden vergeben. Wer später kam, kommt auf eine Warteliste. Die 120 km Burgenland Extremtour ist dieses Jahr in der vierten Auflage. Entsteht hier ein Event mit Kultstatus?
Burgenland Extremtour – Ankunft in Oggau
Am Donnerstagmorgen starten Anke und ich mit unserem Hymer Rio in Richtung Burgenland. Pünktlich zur Kaiserschmarrn-Party um 16 Uhr erreichen wir Oggau am Neusiedler See.
Es herrscht eine entspannte, aber emsige Stimmung im Gemeindeamt von Oggau. Meine Tüte mit Startunterlagen ist gefühlt mit vielen Extras, die man an sich bei einer Veranstaltung ohne Startgeld nicht erwarten kann. Riegel, Getränke, Kappe und Tuch sowie Startnummer und Wegbeschreibung.
Wir treffen Heike und Ihren Mann Werner. Auch Alex ist wenig später da. Heike und Alex sind ebenfalls vom Ultravirus befallen. Leider nicht heilbar ;-). Zusammen haben wir schon so manche 24-Stunden-Tour gemeistert.
Extremtour – Letzte Vorbereitungen
Anke hat Quiche und Kartoffeln vorgekocht. Die machen wir uns im Bus warm. Dann noch ein gemeinsames Bierchen mit Heike, Werner und Alex. Die Nacht wird kurz werden.
Wir finden in der Nähe des Starts einen guten Standplatz für die Nacht. Um kurz nach 21 Uhr ist Schlafen angesagt. Nachts rüttelt der Wind am Bus. Wir sind froh um unsere Standheizung.
02:45 Aufstehen. Ab 03 Uhr gibt es Frühstück im Gemeindeamt Oggau. Anke kocht Haferbrei und Tee. Ich bleibe gern bei Gewohntem, hole mir aber im Gemeindeamt meinen Kaffee.
Ebenfalls wichtig ist immer ein Toilettengang, damit dieses Thema auf der Strecke unberührt bleibt. Meine Angst hilft mir gut dabei.
Angst habe ich weniger vor der Strecke. Meine Angst bezieht sich auf das angesagte Wetter, von dem wir alle hoffen, dass es sich nicht bestätigt.
Extremtour im Burgenland – Start um 04:30 Uhr
04:30 Uhr endlich loslaufen – endlich starten. Der Startschuss gibt uns frei. Frei unsere Reise um den Neusiedler See anzutreten. Vorne weg die Läufer, dahinter die Wanderer.
Mein Plan ist es so viele Kilometer wie möglich in langsamem Lauftempo zu bewältigen. Mein Trainingspensum war die letzten Monate so hoch wie seit vielen vielen Jahren nicht mehr.
In die Dunkelheit hinein verlassen wir den Ort Oggau. Nur der Schein unserer Stirnlampen erhellt die Nacht. Jetzt heißt es, sich nur auf sich selbst zu konzentrieren. Mein eigenes Tempo finden.
Unter den 1200 Startern sind viele Läufer. Unsere Lichterkette aus Stirnlampen und Warnwesten passiert den Ort Rust. In Mörbisch haben wir die ersten 10 km geschafft. Meine Garmin Fenix 2 zeigt 01:04:23 an, ich liege genau in meinem Zeitplan.
Auf Radwegen und Nebensträßchen passieren wir die Grenze nach Ungarn. Ich habe meinen Rhythmus gefunden. Ein Großteil der nur 450 Höhenmeter war wohl auf den ersten 20 km zu bewältigen. Ab und zu geht es tatsächlich bergauf und bergab.
Extremtour – Es läuft gut
Die Menschen in Ungarn gehen zur Arbeit. An den Bushaltestellen und kleinen Geschäften laufe ich immer wieder an Menschen vorbei, die Ihrem Alltag nachgehen. Was die wohl denken beim Anblick von uns Läufern und Wanderern?
Die 20 km Marke erreiche ich in 2:09:46. Es läuft gut. Ich bin schneller als geplant. Meine Probleme im hinteren rechten Oberschenkel, mit denen ich wochenlang zu tun hatte melden sich nicht im Geringsten.
Langsam wird es hell. Nach 22 km in Balf erreiche ich die erste Labestation. Ich nehme mir etwas Wasser und Tee und stecke eine Banane ein. Beim Loslaufen erreicht auch Anke die Labestation mit dem Rio. Kurze Umarmung und weiter. Essen kann ich auch im Laufen.
Die nächsten 12 km führen durch die ungarischen Orte Fertöboz, Hildegseg, Fertöhomok und Hegykö. Wir laufen entweder auf Radwegen oder auf den Gehsteigen. Die Radwege sind teilweise angefroren vom nächtlichen Niederschlag. Ab und zu ist es rutschig.
Extremtour – Hunde und Schweinehunde
Das Besondere an Ungarn ist: Es gibt nach meinem Eindruck in jedem Haus einen Hund. Ich werde durchgehend mit Bellen aus dem Vorgarten oder dem Haus angefeuert. Frei laufende Hunde sind mir glücklicherweise keine begegnet.
Ab km 30 merke ich langsam meine Beine. Die Schritte werden etwas schwerer. Nichts Unerwartetes. Das ist der Zeitpunkt, an dem es darum geht, die ersten mentalen Angriffe meines inneren Schweinehunds, der murmelt „Ach, geh doch mal ein Stück!“, abzuwehren. Heute hat er keine Chance.
Am Ortsende von Hegykö, bei km 35 liege ich mit unter 4 Stunden und einem Schnitt von 06:51 min/km etwa 10 min unter meinem anvisierten Zeitplan. An der Labestation tanke ich Banane, Wasser, Tee und Riegel.
Ein anderer Läufer erzählt den Betreuern an der Labestation: „Es läuft gut bei mir. Wenn das Wetter so bleibt, dann wird das richtig super.“ Komischerweise äußert sich keiner der Betreuer zum weiteren Wetter. Ob die schon was ahnen, was wir noch nicht wissen?
Extremtour – Das Wetter ist gandenlos
Die Strecke führt nun über Single Trails und Feldwege weiter. Leise beginnt es zu tröpfeln. Obwohl die letzten Stunden trocken waren, schaffe ich es nicht immer allen Pfützen und dem stehenden Wasser auszuweichen. Aus dem Tröpfeln ist Regen geworden. Bei km 39 entscheide ich Regenjacke und Regenhose anzuziehen. Auch mein Rucksack bekommt seine Haube übergezogen.
Frisch mit Regenklamotten gestählt applaudiert am Rand ein älterer Herr und will mich in seine Garage einladen. Da sei es trocken und warm. Ich lehne freundlich ab. Es ist noch ein wenig zu tun heute.
Der Regen ist nun unser ständiger Begleiter geworden. Ich laufe mein Tempo stetig weiter, doch ich bin nie einsam. Zwei weitere Läufer sind mal etwas langsamer, mal etwas schneller als ich. Alle paar Kilometer überholen wir uns gegenseitig. Jeder in sich gekehrt, doch ein kurzer Gruß, ein Handzeichen geht immer.
Das Grau des Himmels, der Regen, schnurgerade Straßen, neben mir überschwemmte Flächen. Bei schönem Sommerwetter sicher reizvoll, aber im Moment lädt nichts zum Verweilen ein.
Ab km 45 geht der Regen in Schneeregen über. An sich bin ich Schönwetter-Sportler, aber mit der richtigen Kleidung geht auch mal ein wenig Regen.
Die 50 km Marke erreiche ich mit einer Zeit von 05:49 Stunden. Im Schnitt immer noch knapp unter 7min/km. Damit bin ich 25 min schneller als geplant.
Extremtour – Extreme Wetterbedingungen
Doch der Schneeregen wird immer stärker, was sich auch langsam auf die Körpertemperatur auswirkt. Meine Handschuhe sind jetzt triefnass. Immer wenn ich eine Faust mache kann ich sie kurz auswinden. Es zählt ja jedes Gramm bei so einem Lauf ;-).
Die Stärke des Regens und Schneeregens hat Straßen und Radwege teilweise schon überschwemmt. Waren meine Goretex-Schuhe von Salomon bis km 50 trocken geblieben, doch jetzt läuft es halt oben rein. Ich ersehne die Labestation in Apetlon herbei.
„Wie weit ist es denn noch?“ rufe ich einer Betreuerin, die am Wegrand steht zu. „Bist gleich da!“ ist ihre Antwort. Sehnsüchtig suche ich das Grau nach Häusern oder einem Ortsrand ab. Nichts!
Immer öfter muss ich auf die Straße ausweichen, weil Teile des Radwegs überschwemmt sind. Langsam hat der Spaß ein Loch! Meine Füße sind nass und kalt.
Endlich! Apetlon, die Labestation ist nach 06:44 Stunden erreicht. Meine Uhr hat 58, 2km gezählt. Schnitt: 06:56min/km. Viel schneller als ich je gedacht hatte.
Anke steht schon mit dem Hymer Rio und Wechselklamotten bereit. Im Gasthaus Weinzettel ist der große Saal für uns Teilnehmer vorbereitet. Dieser wird jetzt zum Trockenraum umfunktioniert.
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