Panik an der Pestkapelle – Zugspitz Ultratrail
Das ist der Punkt, an dem ich leicht in Panik verfalle. Kein wirklicher Unterschlupf weit und breit. Was ist, wenn ich die Finger nicht mehr warm bekomme? Was, wenn ich noch weiter auskühle?
Um mich herum sieht auch keiner so aus, als wolle er gerade in Euphorie ausbrechen. Schließlich schaffe ich es in die Handschuhe einzufädeln und meine Regenhose (auch als Wärmeschutz) überzuziehen. Ich weiß, ich muss wieder warm werden. Also weiter!
Zügig ziehe ich fluchend den Berg hinauf. Meine Finger spüre ich nicht wirklich. Durch nach unten schütteln immer einer Hand versuche ich wieder Blut hinein zu bekommen. Endlich, auf etwa 1.700m biegen wir von der Originalroute auf die Alternativroute ab.
Auf dem Fahrweg können wir ein hohes Tempo laufen. Meine Finger sind 10 min später auch wieder warm. Über 8 km laufen wir durch das Gaistal nach unten. Hier war ich schon oft mit dem Mountain-Bike unterwegs.
Schönwetterfenster von 15 Minuten – Zugspitz Ultratrail
Das Wetter macht eine Regenpause. Kurz vor der Hämmermoosalm kommt sogar kurz die Sonne raus und es ist ein Fetzen blauer Himmel zu sehen. Das war’s dann aber auch mit dem Schönwetter für heute.
An der Hämmermoosalm treffe ich Karl aus Eichstätt wieder. Wir sind uns schon beim Hochkönigman vor 2 Wochen öfters auf der Strecke begegnet.
Mittlerweile haben wir uns alle mit dem Wetter abgefunden. Nach der Wangalm steigen wir auf der Matschpiste in Richtung Scharnitzjoch. Ab etwa 1.800m liegt Schnee. In den Wegen läuft uns das Regen- und Schmelzwasser entgegen.
Zugspitz Ultratrail – Scharnitzjoch (2.048m) im Schnee
Wenn ich auch wenig Lust zum Fotografieren habe, hier zücke ich die Kamera, werfe sie aber erstmal in den Matsch. Zum Glück ist das Ding wasserdicht. Display abwischen, Foto machen, weiter.
Am Joch oben treffe ich Gerhard. Wir haben einen kleine Ratsch. Doch der Downhill vom Scharnitzjoch ist teils reines Harakiri. Jeder sucht nach irgendeiner Art durch den Dreck sturzfrei hier wieder runter zu kommen.
Wer es nicht erlebt hat, kann sich diese Rutschpiste kaum vorstellen. Hier, wie auch auf jeder anderen Gefällstrecke verliere ich viel Zeit, da ich eher auf der Bremse stehe, als es laufen zu lassen.
1000 Höhenmeter Abstieg auf einer Rutschpiste – Zugspitz Ultratrail
Es sind fast 1.000 Höhenmeter Abstieg vom Scharnitzjoch auf 2.048m runter nach Reindlau zum Verpflegungspunkt 5. Dort nach jetzt 51 km wartet Anke auf mich. Da sie noch nichts von der Verkürzung der Strecke weiß, ist sie überrascht mich schon zu sehen.
Ich genieße Tomatensuppe und mehr. Die Verpflegung ist immer bestens und lässt kaum Wünsche offen. Meine dort deponierten Wechselklamotten drücke ich Anke in die Hand – neue Klamotten sind in 30 min genauso nass.
Zugspitz Ultratrail – Flache Kilometer nach Mittenwald
Der flache Streckenabschnitt nach Mittenwald geht mir besser von der Hand als letztes Jahr. Selbst hier im Tal kommen mir bei diesem Temperaturen und leichtem Regen keine warmen Gedanken. Vorbei am Schützenheim laufe ich in Richtung Ferchensee.
Der Weg um den See besteht teils nur aus einer Wasserfläche, so überschwemmt sind die Wege. Ein Ausweichen ins Gelände hilft nur manchmal. Ich bin froh, dass meine Goretex-Schuhe zwar gut feucht waren, aber niemals richtig durchnässt worden sind. Eventuell hat meine Vorsicht beim Laufen das Schlimmste verhindert.
Bei Tag durch die Partnachklamm – Zugspitz Ultratrail
Den Regen nehme ich gar nicht mehr in seinem ganzen Ausmaß wahr – man gewöhnt sich. Bis zur Partnachklamm laufen wir auf gut ausgebauten Forstwegen. Gefühlt sind es viele Höhenmeter bergauf, aber auf der Karte zeigt sich das nicht.
Im letzten Jahr war es hier schon dunkel. Dieses Jahr erreiche ich den Abstieg zur Partnachklamm noch in voller Helligkeit. Man merkt dem Weg vor allem im unteren Teil an, dass hier heute schon ein paar 100 Läufer durchgewatet sind.
Unten in der Partnachklamm ist mein Akku am Boden. Die Höhenmeter wieder hinauf bis zum Verpflegungspunkt fallen mir schwer.
Cola, Iso, Suppe, Salzstangen – ich fülle meine Speicher innen und außen wieder auf. Dann auf geht’s zum letzten Gefecht. Da wir wegen Schnee auch den Aufstieg zum Osterfelder auslassen werden, steht „nur“ der etwa 700 HM Anstieg bis zur Bergstation Längenfelder an.
In der nächsten Regenwalze rauf zum Längenfelder – Zugspitz Ultratrail
Nach wenigen Metern sehe ich die nächste Regenwalze auf uns zukommen und schlüpfe wieder in die lange Regenhose. Die Regenjacke habe ich seit VP 1 nie mehr abgelegt. Langsam wird es dämmrig. Noch ein kleiner Abstieg, dann die 700 Höhenmeter zum Längenfelder hinauf.
Der Bergpfad ist gleichzeitig der Abfluss für das Regenwasser. Immer wieder die Entscheidung: Gebe ich mich dem Fluss hin 😉 oder versuche ich ihn am Rand zu umgehen oder abzumildern :-).
Serpentine um Serpentine. Es zieht sich. Schon weit vor Erreichen hören wir die Stimmen von oben. Wann ist der Aufstieg vorbei? Dann ist es endlich geschafft. Die Lichter der letzten Verpflegung für heute bringen Erlösung. Bis hierher habe ich es gerade noch ohne Stirnlampe geschafft.
Ich genieße zwei Becher Suppe und lümmle mich ein paar Minuten vor dem Heizlüfter im Wärmezelt. Diese Zeit könnte ich mir zwar sparen, aber es tut einfach gut. Ein wenig Wärme von innen und von außen.
Abstieg im Dunkeln nach Grainau – Zugspitz Ultratrail
Laut Zeitmessung mache ich um 22 Uhr auf den letzten Abstieg. Dieser war letztes Jahr bei trockenem Wetter schon rutschig. Daher lasse ich es eher langsam, als zu schnell angehen. Hoffe, es klappt ohne Sturz bis ganz nach unten. Im Schein der Stirnlampe kämpfe ich mich nach unten. Immer wieder werde ich überholt. An meiner Risikobereitschaft sollte ich bis zum nächsten Jahr definitiv arbeiten.
Auf einer Wiese passiert es dann doch. Ich lege mich in den Matsch. Stand das eigentlich im Reglement, dass es ohne Sturz nicht geht ;-)? Der letzte Abhang durch die stockdunkle Nacht, die Brücke bei Hammersbach und dann Teer – geil. Noch 2 flache Kilometer bis zum Ziel.
Zugspitz Ultratrail – Zieleinlauf nach 16:12 Stunden
Seltsames Gefühl im Schein der Straßenlaternen durch den Ort Grainau zu laufen – fühlt sich so zivilisiert an, fast wie ein Stadtmarathon. Vor lauter Freude am Teer verpasse ich den Abzweig über die Bahnschienen zum Ziel und laufe noch einen Extra-Kilometer. Erst der Hinweis eines Passanten „Bist Du noch im Rennen? Wenn Ja, dann bist Du hier falsch“ lässt mich umdrehen.
Um 23:27 erreiche ich glücklich und froh in 16:12:36 Stunden als 262. von 558 gestarteten Männern das Ziel. Anke empfängt mich zusammen mit Heike, Stephie, Marcus und Werner. Dickes Danke an Euch fürs Ausharren in der Kälte! Ich weiß, Ihr habt Euch mit Weizenbier gewärmt ;-). Das ist auch mein erster Wunsch – ein alkoholfreies Bier. Ahh!
Ausklang und Heimfahrt ins Allgäu
Wir sitzen gemeinsam und lassen den Tag und unsere Erlebnisse auf den verschiedenen Trails Revue passieren. Doch langsam beginne ich zu frieren, will raus aus den nassen Klamotten.
Mit Müllsäcken bewaffnet gehen Anke und ich zu den Duschen. Die völlig verdreckten Schuhe und Klamotten kommen in den Müllsack. Gewaschen wird erst zu Hause. Was ist die Dusche für eine Wohltat. Heißes Wasser aus dem Hahn. Und nochmal eine Runde und nochmal :-). Meine Haut ist aufgeweicht, aber keinerlei Blasen.
Frisch geduscht sind wir nach knapp 1,5 Stunden Fahrt gegen 02 Uhr morgens wieder zu Hause im Allgäu. Meine schon von daheim mitgebrachte Erkältung beginnt sich voll zu entfalten – jetzt ist’s egal.
Das war ein Tag, den ich so schnell nicht vergessen werde. Mein zweiter Zugspitz Ultratrail ist in keiner Weise mit dem ersten vor einem Jahr vergleichbar. Zu unterschiedlich waren und sind Vorbereitung, Wetter und viele andere Faktoren. Ein wenig ZDF (Zahlen, Daten, Fakten) gibt’s die nächsten Tage hier zu lesen.