24 Stunden Wanderung Winter 2014 – schwäbische Alb
24 Stunden Wanderung – Geschichten erzählen – ein Epilog
Erwartungsvoll blickt die blonde Frau in die Nacht hinaus. Es ist 21:40 am Samstagabend. Der Spielfilm im Fernsehen geht gerade zu Ende. Was lief – das Leben der anderen? Sie hält Ausschau nach kleinen Lichtpunkten, die auf ihr Haus zusteuern. Der gekochte Buchweizen und die Gemüsesuppe stehen fertig auf dem Herd. Endlich – da sind sie. Aus 14 Lichtpunkten werden Gestalten. Die Wirtin des Bläsiberg steht auf und winkt uns wissend zu, so als wüsste sie welche Geschichten wir zu erzählen haben.
Bis zum sogenannten Nachtessen haben wir schon exakt 40 km erwandert. Mehr als die Hälfte der geplanten Strecke ist geschafft. Doch zurück zum Anfang.
Von Geislingen a. d. Steige nach Bad Urach in 24 Stunden
Wir, das sind die 12 Teilnehmer und zwei Guides der zweiten 24 Stunden Winterwanderung über die schwäbische Alb. Nach der Winter-Premiere im Januar 2013 haben viele von uns sich erneut eingefunden. Der Kreis der 12 Teilnehmer besteht aus 4 Rookies, die das erste Mal eine 24er angehen und 8 Teilnehmern, die schon bis zu fünfmal an 24 Stunden Wanderungen teilgenommen haben. Für mich ist es die vierte innerhalb der letzten 365 Tage.
Zusammen mit Sigrun aus Oberstaufen bin ich am Samstag-Morgen nach Geislingen a. d. Steige per Bahn angereist. Anke, meine Frau, wird uns morgen in Bad Urach im Café Bad 1 abholen. Das Zusammentreffen am Startpunkt ist ein großes Hallo, da sich viele von uns im letzten Jahr beim Wandern kennen und lieben gelernt haben.
Start der 24 Stunden Wanderung – Pünktlich um 9 Uhr
Um exakt 09 Uhr morgens, nach einem kurzen Briefing durch Detlef Nescholta, starten wir auf unser 70 km Abenteuer nach Bad Urach. Der erste Aufstieg zur Schildwacht geht leicht von der Hand, der Körper wird auf Betriebstemperatur gebracht, denn noch hat es Minusgrade. Unser Tempo ist moderat, es bedarf keiner Eile, denn wir haben 24 Stunden Zeit.
Nebelbänke ziehen über die Höhen der schwäbischen Alb, ab und zu kommt die Sonne kurz durch. Die Wege sind vom Nachfrost noch überfroren. Der bisher sehr milde Januar hat regengeschwängerten Matsch auf den Wegen hinterlassen. Unsere anfangs unterschiedlich gefärbten Schuhe haben bald eine einheitliche Färbung angenommen.
Spaghetti und Kuchen im Wasserberghaus
Die ersten gut 20 km bis zum Wasserberg vergehen schnell. Das Wasserberghaus erreichen wir um 15 Uhr. Spaghetti mit Parmesan und Tomatensauce nach dem all-you-can-eat-Prinzip stärken unsere Speicher. Als Zugabe noch ein Stück Kuchen und Kaffee.
Eine 24 Stunden Wanderung braucht Power. Das Thema Ernährung ist für uns alle immer ein Thema. Nicht beantworten konnten wir die Frage: „Wie vegan war dieses einzelne Schnitzel?“ 😉 (für Insider)
Nach einer guten Stunde brechen wir wieder auf. Das heiße Teewasser zum Abschied können wir brauchen. Der Wind pfeift unangenehm um die Ecken, doch die ersten Kilometer bringen unsere Körper wieder auf Temperatur. In Vorahnung auf eine lange lange Nacht genießen wir die letzte Stunde in Helligkeit. An einem markanten Aussichtspunkt beschert uns die Natur einen grandiosen Abschied des Lichts.
Die lange Nacht der 24 Stunden Wanderung im Winter
Nach meinem Empfinden beginnt nun die eigentliche Tour. Bis zum Einbruch der Nacht machen Körper und Psyche selten Probleme. Die ersten Stunden sind mondlos, milchige Bewölkung lässt ab und an Sterne erahnen. Zwei bis dreimal überqueren wir Straßen. Nur diese und die Lichter der Orte und Städte im Tal lassen Zivilisation erahnen.
Kurze Pausen zum Trinken und Stoffwechsel aller Art. Manchmal sind wir gesprächiger, manchmal genießen wir schweigend die Nacht. Schrecksekunden, wenn plötzlich ein Ast im Dunkel unser Gesicht streift. Es geht rauf und es geht wieder runter – schwäbische Alb halt. So kommen wir Schritt für Schritt auf immer mehr Höhenmeter, deren Zahl sich keiner vorzustellen mag.
Wir überqueren die Autobahn Nahe der Raststation, queren entlang des Höhenzugs und steigen wieder auf die Albhochfläche. Manch Wegstück ist windstill, dann pfeift der Wind wieder unangenehm und wir sind froh leicht hinter der Windkante im Wald zu Laufen. Unsere Schritte werden nicht müde, das Etappenziel Bläsiberg lockt mit dem Nachtessen. Schon von weitem ist das extra für uns hell erleuchtet Gebäude zu sehen. Nur noch wenige Schritte, vom Fenster winkt uns schon die Wirtin entgegen.
Gasthof Bläsiberg – Früchtebrot und Buchweizen
Herzlich, urig, bodenständig – so werden wir von Bettina, der Wirtin empfangen. Die Gaststube gehört uns ganz allein. Es ist gedeckt. Unsere Weißbier und Kaffee-Wünsche werden garniert mit dem vorbestellten Buchweizen und Gemüsesuppe. Den Buchweizen macht Bettina allerdings nur für uns, sonst ist das, wie sie deutlich betont, nicht so ihr Geschmack ;-). Extra für uns hat sie zwei riesige Laibe Früchtebrot gebacken, die wir als Wegzehrung untereinander aufteilen.
Dieters ernste Frage nach unserem Befinden: „Wie geht es Euch? Alles im Lot? Könnt ihr euch motivieren für die Nacht?“ beantworten wir alle positiv. Nur die Entscheidung ob lange Unterhosen anzuziehen sind oder nicht wird kontrovers und individuell gehandhabt.
24 Stunden Wanderung im Winter – Die Nacht fordert ihre Opfer
23 Uhr, die Nacht hat uns wieder. Erst geht es ins Tal hinab nach Neidlingen, dann an der linken Talseite bis zum Aufstieg zum Mörikefels und zum Breitenstein, der gleichzeitig mit 812 m der höchste Punkt der Tour ist. Den Abstieg in Richtung Teck lassen wir dieses Jahr aus. Auch ohne diese Schleife werden wir an die 70 km schaffen.
Bisher sind wir immer noch vollzählig unterwegs. Doch die lange Januar-Nacht fordert auch dieses Jahr ein Opfer. Kai spürt schon länger, dass sein Körper ihm heute Grenzen aufzeigen will. Sein Akku ist leer und will erst einmal Ruhe haben. Seine Rückfahrt hat er vorsorglich schon telefonisch in die Wege geleitet und alles scheint geregelt. Doch plötzlich sackt sein Kreislauf zusammen. Gut, das Sigrun als Ärztin sofort weiß, was zu tun ist. Wir sind alle erschrocken, doch Kai ist schnell wieder auf den Beinen – als erfahrener Sportler weiß er auf seinen Körper zu hören. Wir warten an einer Bushaltestelle bis er von seiner Frau im warmen Auto abgeholt wird.
Endspiel – noch einmal rauf und einmal runter
Jetzt beginnt der letzte lange Anstieg auf dem Wanderweg nach Grabenstätten hoch. Es braucht lange bis wir nach unsere Pause die Glieder und Knochen wieder warm bekommen. Beim Überqueren der Straße auf der Höhe zeigt der Wegweiser „Bad Urach 6 km“ an. Hoffnung keimt auf. Nun geht es nur noch bergab, meistens ;-).
Der erste Kilometer des Abstiegs bis zur Falkensteiner Höhle ist mühsam. Die Steine des Wegs sind von Eis überzogen. Wir müssen in der Dunkelheit auf jeden unsere Schritte achten. Dann wird es leichter, aus dem Wanderweg wird ein Feldweg – die größten Schwierigkeiten sind überwunden. Bei Heike und mir ist der Stalltrieb am Größten, wir ziehen ein wenig voraus. Langsam, sehr zögerlich setzt sich das Licht des neuen Tages durch.
Wir werden diesmal etwas früher in Bad Urach sein. Die Wirtin des Café Bad 1 öffnet extra 1 Stunde früher für uns.
Gemeinsam erreichen wir froh und glücklich unser gesetztes Ziel – Bad Urach. Knapp 70 km und etwa 2700 Höhenmeter im Aufstieg und auch Abstieg sind geschafft. Umarmungen, Glückwünsche, Freude, ein würdiger Ausklang mit warmen Worten und Urkunde. Zusammen sitzen, Erreichtes Revue passieren lassen, Gedanken ziehen vorbei. Langsam fährt der Körper runter, Müdigkeit macht sich breit.
Eine Mitarbeiterin der Lokalzeitung macht mit einigen von uns kleine Interviews, stellt Fragen. Sie kann gar nicht glauben, dass diese 24 Stunden einen Erholungseffekt wie 3 Wochen Urlaub für mich bedeuten.
24 Stunden Wanderungen sind bewusst ohne Wettkampfcharakter ausgelegt – wir laufen gemeinsam in der Gruppe. Trotzdem hat diese Erfahrung etwas Kämpferisches. Mir fällt dabei immer der Satz „Fight with the elements and themselves.“ ein. Wir werden uns diesem Kampf wieder stellen. Oder, was denkt Ihr?
Lieber Magnus,
wie immer von dir, ein wundbarer Bericht über ein tolles 24h-Abenteuer, der alle Erinnerungen an die Tour wieder auffrischt. Vielen lieben Dank, denn es macht unheimlich Spaß und bereitet mir immer eine große Freude, deine lebensnahen Erzählungen zu lesen. Werde auch dieses schriftliche Erlebnis wieder ausdrucken und irgendwann mal, wenn wir dann alt sind, können wir es den Jungen erzählen. Und wenn unser Gedächtnis nachlässt können wir auf deine wertvollen Erzählungen zurückgreifen.
Herzliche Grüße aus dem Hegau
Heike
Liebe Heike,
Danke Dir .. die Wege für weitere Abenteuer sind ja schon bereitet 🙂
LG Magnus
Hallo Magnus,
ich möchte Dir meine große Anerkennung aussprechen. Dein Bericht über die Tour ist Dir super gut gelungen, die Fotos sind sehr gut eingebunden. Beim lesen deines Berichtes ist mir erst so richtig bewusst geworden was ich (wir) hier geleistet haben. Mit unseren Gedanken und starken Willen können wir Ziele erreichen, von denen wir bisher nur geträumt haben. Weitere Visionen werden umgestzt!
Viele Grüße aus dem Brenztal Ernst
Lieber Magnus,
vielen Dank für den schönen Bericht!
Kein Wettkampf, aber kämpferisch… ja, kann man so sagen.
Dazu noch der Aspekt, durchzuhalten, dabei zu bleiben: Sich trauen, eine große Sache zu beginnen. Und diese dann durchziehen. Ziele stecken und erreichen.
Unvorhergesehene Ereignisse können das Vorhaben vereiteln oder zu Planänderungen zwingen. Das kann dann sehr weh tun. Vielleicht ist es auch wichtig, das Scheitern zu lernen. Aber ich fürchte, das kommt von ganz allein.
Liebe Grüße
Sigrun