Watzmann-Überschreitung

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013

Im Halbschlaf öffne ich kurz die Augen. Was ist das? Im Dunkeln erkenne ich gerade noch einen Wanderer, der mit Stirnlampe an meinem Auto in Richtung Berg vorbeizieht. Sofort bin ich hellwach. Es ist genau 02:00 Uhr morgens. Was hält mich noch hier am Auto? Nichts!

Die Nacht war kurz. Gestern Abend bin ich aus dem Allgäu in Richtung Berchtesgadener Land aufgebrochen – dem Ruf des Watzmann folgend. Er musste lange rufen. Mehr als 30 Jahre sind es her, dass ich die Verse „.. groß und mächtig, schicksalsträchtig, um seinen Gipfel jagen Nebelschwaden .. “ aus dem Watzmann-Epos von Wolfgang Ambros verinnerlicht habe. Heute will ich „ihn unterkriagn“. 😉

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 - Start um 02:32

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – Start um 02:32

Ich krieche aus meinem Schlafsack und werfe mich in Schale. Bergschuhe, Stirnlampe, Rucksack, Stöcke – schnell bin ich startklar. Die Uhr zeigt 02:32 als ich das Auto in Richtung Watzmannhaus in die Dunkelheit verlasse. 4 Stunden veranschlagen die Schilder bis dorthin.

Die erste Herausforderung folgt nach wenigen hundert Meter. Aus der Ferne höre ich schon lautes Hundegebell. Ich komme immer näher. Hoffentlich sind die nicht frei laufend. Dann tauchen am Gegenhang mindestens 5 leuchtende Augenpaare auf, die mich lautstark ankläffen. Sehen kann ich es nicht, doch die Hunde sind Gott-sei-Dank in eingezäuntem Gelände. Puh!

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 - mit Stirnlampe

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – mit Stirnlampe

Langsam wird es wieder ruhiger und das Kläffen verhallt in der Ferne. Die Nacht ist sternenklar, doch der Mond nur eine Sichel. Der Weg führt steil bergan. Bald lichtet sich der Wald und ich komme ins Almgelände unterhalb des Watzmann-Hauses. Kühe und Pferde in Nachtruhe wundern sich still über mein Vorbeiziehen. Ich gewinne rasch an Höhe. Nach der letzten Alm geht der Weg in einen Bergpfad über. Das erste schwache Licht ist im Osten zu erahnen.

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 - Watzmann-Haus morgens um 04:30

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – Watzmann-Haus morgens um 04:30

Nach weniger als 2 Stunden erreiche ich das 1.930m hohe Watzmannhaus. Hier sind die ersten Wanderer gerade dabei sich für den Aufstieg fertig zu machen. Ein kurzer Gruß, ein kurzes Verweilen am Haus und ich folge den Stirnlampen der ersten Zweiergruppe in Richtung Hocheck, dem quasi Nordgipfel des Watzmann-Massivs. Ab dem Watzmannhaus ist der Wegverlauf als hochalpin zu bezeichnen. Der Wegcharakter und die Umgebung wird felsiger. Ab und an treffe ich auf Drahtseile. Kurz darf auch Hand angelegt werden. Die letzten Meter zum Hocheck sind dann wieder flacher.

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – Aufstieg aufs Hocheck

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – Aufstieg aufs Hocheck

Um kurz nach 6 Uhr, die Sonne ist mittlerweile aufgegangen, erreiche ich die Biwak Schachtel am Hocheck (2.651m). Nach über 3 ½ Stunden und gut 2.000 HM ist ein Frühstück fällig. In netter Gesellschaft der ersten Ankömmlinge vom Watzmannhaus und beschienen von der jetzt wärmenden Morgensonne genieße ich mein Müsli auf der Bank neben der Biwak Schachtel.

Ab hier beginnt die Gratwanderung hinüber zur Südspitze. Teile davon sind wie ein Klettersteig mit Drahtseilen versichert. Dazwischen gibt es auch Passagen ohne Sicherung. Einen Großteil des Steigs würde ich als B-Klettersteig ohne Schwierigkeiten bezeichnen. Allerdings ist absolute Schwindelfreiheit und Trittsicherheit eine Grundvoraussetzung für die Begehung. Wer das ungesicherte Stück von etwa 20m nach der Mittelspitze nicht scheut kommt problemlos hinüber.

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – diese Stelle ist ungesichert und etwas ausgesetzt, sonst alles im B-Bereich Klettersteig

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – diese Stelle ist ungesichert und etwas ausgesetzt, sonst alles im B-Bereich Klettersteig


Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – den Blick schweifen lassen

Watzmann-Überschreitung am 01. August 2013 – den Blick schweifen lassen

Vom Hocheck zu Südspitze lasse ich mir bewusst Zeit und genieße die leichte Kletterei, lasse das Auge schweifen und freue mich einfach hier zu sein. 2.000m tiefer liegt still der Königssee und St. Bartholomä.

Um etwa 09:30 erreiche ich die Südspitze. Zweite große Pause und Rast für mich. Dohlen füttern und Fotos tanken ist ein Teil des Pausenprogramms. Der Rundblick zum Dachstein, Großglockner und Großvenediger ist famos.

Ab hier beginnt der wirklich anstrengende Teil der Watzmann-Überschreitung: Der Abstieg ins Wimbachgries. Auf brüchigem Fels geht es in leichter Kletterei tiefer und tiefer. Der Untergrund ist selten wirklich fest und immer für einen Ausrutscher gut. Fast 1.500 HM geht es in voller Konzentration nach unten. Wer hier nicht aufmerksam ist hat schnell verloren. Ich halte diesen Teil der Überschreitung für gefährlicher als den Steig selbst. Letzte mit Ketten gesicherte und vom Regen ausgewaschene Rinnen und ich bin unten im Wimbach-Gries.

Kurz nach 12 Uhr mittags, Highnoon – jetzt zählt nur noch Ausdauer. Ein über 10km langer Hatsch in der sengenden Hitze dieses 01. August 2013 bringt mich bis 14:15 Uhr zurück zum Parkplatz an der Wimbachbrücke. Knapp über 11,5 Stunden inklusive Pausen hat sie gedauert meine Watzmann-Überschreitung.

Das Massiv ist tatsächlich „groß und mächtig“. Mein „muass ihn unterkriagn“ ist geschafft. Nebelschwaden habe ich bei diesem genialen Hochsommerwetter keine erlebt. Ob ich wiederkomme? Ich könnte mir die Tour als schöne Herbsttour – als Highlight zum Saisonabschluss wieder einmal vorstellen. Vielleicht in ein paar Jahren – mal sehen :-).

Noch mehr Fotos von Magnus Bühl zur Watzmann-Überschreitung: